Arvid – ein Junge mit großer Willenskraft und Entschlossenheit


Der neunjährige Arvid lebt mit seiner Familie in Bergen. Trotz seiner schweren Rückenmarksverletzung ist sein Alltag gefüllt mit Spielen, Lachen und kleinen sowie großen Erfolgen. Mit einem starken Unterstützungsnetzwerk um sich herum kann er die Welt nach seinen eigenen Vorstellungen erkunden – mit Neugier, Mut und dem Glauben, dass alles möglich ist.
In diesem Artikel lesen Sie:
- Arvid und seine Familie
- Warum erlitt Arvid eine Rückenmarksverletzung?
- Kleine Erfolge, große Freuden
- Fokus auf Unabhängigkeit
- Innowalk - ein Leben in Bewegung
- Eine inklusive Gesellschaft
- Träume ohne Grenzen
Arvid und seine Familie
Arvid ist ein neun Jahre alter, geselliger und aktiver Junge. Er lebt mit seinen Eltern und zwei Brüdern, die 12 und 6 Jahre alt sind, in Bergen. Ihr Haus ist nur einen kurzen Spaziergang von der Schule entfernt, in der Arvid die 4. Klasse besucht. Wie jeder andere Neunjährige verbringt er gerne Zeit mit seinen Freunden und spielt mit ihnen im ausgebauten Kellerraum.
Die ganze Familie ist gerne im Freien, den grünen Daumen erkennt man gleich im eigenen Garten. Sie bauen dort eine Vielzahl von Gemüsesorten und Beeren an. Arvid hat verschiedene Salatsorten gepflanzt, die in der frühen Sommersonne bereits sprießen.
Der Bereich um das Haus ist so gestaltet, dass Arvid sich mit seinem Rollstuhl leicht fortbewegen kann. Im Inneren wurde das Haus entsprechend seinen Bedürfnissen umgestaltet und Arvid hat ein eigenes Zimmer, das über einen Aufzug direkt mit dem Rest des Hauses verbunden ist.
Warum erlitt Arvid eine Rückenmarksverletzung?
Arvid ist das zweite Kind seiner Eltern. Seine Mutter Anna beschreibt eine komplikationslose Schwangerschaft. Leider verlief die Geburt jedoch alles andere als komplikationslos. Als Anna im Krankenhaus ankam, waren die Wehen bereits weit fortgeschritten. Arvid lag in Steißlage und die Nabelschnur war um seinen Fuß gewickelt. Die Situation eskalierte schnell. Die Ärzte entschieden sich für einen Notkaiserschnitt, einen sogenannten „Crash-Kaiserschnitt”, bei dem Anna unter Vollnarkose gesetzt wurde. Sie mussten das Baby schnell holen.
Während des Eingriffs traten jedoch Komplikationen auf. Es gab Schwierigkeiten, Arvids Kopf zu entbinden, und rückblickend wurde dabei zu viel Kraft angewendet. Dabei kam es zu der Verletzung.
Nach der Geburt hatte Arvid Atembeschwerden und war in keinem guten Zustand, sodass er sofort auf die Neugeborenen-Intensivstation verlegt wurde. Er weinte, aber geräuschlos. Er zeigte keine aktiven Reflexe, war kaum bei Bewusstsein und das Füttern war jedes Mal eine Herausforderung. Schließlich wurde die Familie nach Hause geschickt. Arvid sei gesund, brauche aber einfach Zeit, um sich von der schwierigen Geburt zu erholen.
Doch etwas stimmte nicht. Arvid hatte weiterhin Atemprobleme, weshalb er in den Wochen nach seiner Geburt mehrfach in der Notaufnahme behandelt werden musste. Obwohl CT- und MRT-Untersuchungen seines Kopfes keine Auffälligkeiten zeigten, ergaben nächtliche Atemaufzeichnungen erhebliche Atemprobleme. Infolgedessen musste Arvid mit BIPAP (einer Form der Atemunterstützung) und mehreren anderen medizinischen Geräten behandelt werden.
Was ist BIPAP?
Bilevel Positive Airway Pressure (BIPAP) ist eine Form der Atemunterstützung, die bei verschiedenen Arten von Atemversagen oder Atembeschwerden zum Einsatz kommt. BIPAP funktioniert ähnlich wie ein einfaches Beatmungsgerät: Die zu behandelnde Person trägt eine eng anliegende Maske über Nase und Mund. Das Gerät liefert einen höheren Luftdruck beim Einatmen und einen niedrigeren Druck beim Ausatmen.
Als Arvid seine erste Erkältung bekam, wurde es kritisch. Er wurde schwer krank und musste mit Blaulicht und Sirene ins Krankenhaus gebracht werden. Dort blieb er schließlich mehrere Monate lang. Es gab viele problematische Momente und zeitweise war ungewiss, ob er überleben würde.
Schließlich stellten die Ärzte bei Arvid eine chronische Ateminsuffizienz fest. Später ergab eine MRT-Untersuchung seiner gesamten Wirbelsäule eine hohe Rückenmarksverletzung (C4–C7). Die Schädigung seines Rückenmarks bedeutet, dass er von der Brust abwärts gelähmt ist.
Arvids Mutter Anna sagt, es sei schwer, sich genau zu erinnern, wann die Rückenmarksverletzung offiziell bestätigt wurde – es war eine so chaotische und emotionale Zeit –, aber sie glaubt, dass er etwa sechs Monate alt war. Inzwischen wurde bestätigt, dass die Verletzung während der Geburt, als der Kopf geholt wurde, verursacht wurde.
Kleine Erfolge, große Freuden
Mit der Zeit normalisierte sich das Leben der Familie langsam. Arvids Immunsystem wurde stärker und die ständigen Krankenhausbesuche wurden weniger. Endlich konnten sie wieder gemeinsam zu Hause sein. Zwar hatte sich ihr Leben für immer verändert, aber sie hatten einander – und das bedeutete alles. Schon früh hatten sie sich ein Versprechen gegeben. Arvid sollte nicht nur überleben, sondern wirklich leben.
Das war der Beginn eines neuen Kapitels.
„Die Herausforderungen haben nicht aufgehört“, sagt Anna mit einem sanften Lächeln. „Wenn überhaupt, dann reihen sie sich nur aneinander.“ Doch sie fügt schnell hinzu, wie wichtig es ist, sich nicht von den schwierigen Seiten überwältigen zu lassen. „Wenn man nur die Hindernisse sieht, verpasst man alles andere.“ Mit der Zeit sind wir gut darin geworden, Lösungen zu finden, und noch besser darin, die kleinen Erfolge zu feiern, die anderen vielleicht gar nicht auffallen.
Arvid seinen ersten Kinderwagen zu kaufen, fühlte sich wie ein Meilenstein an. Und als er seinen ersten Rollstuhl bekam und sich selbstständig fortbewegen konnte, war das ein Gefühl purer Freude. Unvergesslich ihn dabei zu beobachten, wie er die Welt aus eigener Kraft erkundete.
Die Familie hat gelernt, die kleinen Momente zu schätzen. Sie lachen viel – manchmal, weil sie es müssen, manchmal, weil sie es wollen. Humor ist zu einem ihrer mächtigsten Werkzeuge geworden. Er hilft ihnen, auf dem Boden zu bleiben, hoffnungsvoll zu bleiben und weiterzumachen, auch wenn die Dinge überwältigend erscheinen.
Fokus auf Unabhängigkeit
Arvid lebt mit einer Rückenmarksverletzung, die ihn von der Brust abwärts bewegungslos macht. Er kann diesen Teil seines Körpers weder bewegen noch fühlen. Anfänglich waren sogar seine Arme und Hände nur eingeschränkt funktionsfähig. Dank einer komplexen Operation, bei der Muskeln und Nerven umgeleitet wurden, hat Arvid nun eine Art Griffkraft in beiden Händen, was einen riesigen Unterschied macht. Jetzt kann er verschiedene Gegenstände halten und sie bewegen und vor allem seinen manuellen Rollstuhl selbstständig fortbewegen. Anna erzählt, wie Arvid durch gezieltes und geduldiges Training seine Greifkraft gestärkt hat.
„Arvid hat diese unglaubliche Entschlossenheit. Er hat Stunden damit verbracht, mit winzigen LEGO-Steinen zu bauen, und ich bin fest davon überzeugt, dass sich das ausgezahlt hat. Seine Greifkraft ist jetzt viel stärker als ursprünglich erwartet“, sagt sie.
In der Schule benutzt Arvid drinnen einen manuellen Rollstuhl und wechselt draußen zu einem elektrischen. Er hat auch Zugang zu einem Exoquad, einem robusten, geländegängigen Mobilitätsgerät. Damit kann er aktiv an Aktivitäten teilnehmen und mit seiner Familie, die gerne Zeit im Freien verbringt, die Natur erkunden.
Arvid benötigt täglich umfangreiche Unterstützung, die ihm von einem gut koordinierten und engagierten Team zuteilwird. Er erhält eine benutzergesteuerte persönliche Assistenz, Nachtbetreuung und Unterstützung während der Schulzeit. Gemeinsam sorgen seine Assistenten und sein Unterstützungsnetzwerk dafür, dass Arvid alles hat, was er braucht, um ein erfülltes, aktives und unabhängiges Leben zu führen – genau wie jedes andere Kind auch.
Innowalk – ein Leben in Bewegung
Als Arvid zwei Jahre alt war, wurde er zu einem Rehabilitationsaufenthalt im Sunnaas Hospital, einer Rehabilitationsklinik in Norwegen, aufgenommen. Während dieser Zeit lernte er den Innowalk kennen, ein Gerät, das ihm das Stehen und Bewegen ermöglichen würde, obwohl sein Körper dazu selbst nicht in der Lage war. Dieser Versuch wurde durch die enge Zusammenarbeit zwischen seinem Physiotherapeuten vor Ort und dem Team in Sunnaas ermöglicht. Die Bewegung, die neue Perspektive, das Gefühl der Teilhabe – all das machte einen Unterschied. Die Ergebnisse waren so vielversprechend, dass das Hilfsmittel beantragt wurde und Arvid das Gerät als Dauerausleihe bekam.
Im Kindergarten wurde der Innowalk zu einer Brücke zwischen Arvid und den anderen Kindern. Er ermöglichte es ihm, neben ihnen zu stehen, an Gruppenaktivitäten teilzunehmen und sich auf eine Weise integriert zu fühlen, wie es im Rollstuhl nicht möglich gewesen wäre. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit ist auch jetzt, wo er zur Schule geht, nach wie vor wichtig.
Arvids Lehrer hat ihm ermöglicht, den Innowalk im Klassenzimmer als Teil seines Lernens zu nutzen. Mit einem Therapietisch vor sich kann er im Stehen und in Bewegung arbeiten und so körperliche Aktivität und Engagement verbinden.
Arvid verbringt jeden Tag in der Schule Zeit im Innowalk – oft bis zu 45 Minuten am Stück. Das ist zu einem wichtigen Teil seines Tagesablaufs geworden – nicht nur für seine körperliche Gesundheit, sondern auch für sein allgemeines Wohlbefinden.
„Wenn Arvid den Innowalk benutzt, sehen wir, dass er dabei seine Brust öffnet. Das ist sehr vorteilhaft für seine Atmung“, sagt Anna. „Außerdem kann er dabei sein Gewicht verlagern und die Bewegung wirkt sich auch positiv auf seine Verdauung aus.“
Im Februar verbrachte Arvid drei Wochen in einem Wintercamp in Beitostølen, einem Rehabilitationszentrum mit Schwerpunkt auf sportlichen Aktivitäten, wo er keinen Zugang zum Innowalk hatte.
„Da wurde uns erst richtig bewusst, wie wichtig der Innowalk für Arvid geworden ist“, erklärt Anna. Seine Beine wurden sehr steif, er hatte mehr Krämpfe und seine Verdauung wurde problematischer.
Für Arvid und seine Familie ist es nicht nur wichtig, sondern unerlässlich, ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu bewegen – jetzt und in Zukunft. Das hilft ihm, eine bessere Körperhaltung zu bewahren, unterstützt seine Mobilität und gibt ihm ein Gefühl von Freiheit und Kontrolle über seinen eigenen Körper.
Der Innowalk war und ist für Arvid nach wie vor wichtig – wir können einfach nicht ohne ihn sein.
— Anna, Arvids Mutter
Eine inklusive Gesellschaft
Anna erzählt, welche großen Anstrengungen der Kindergarten und die Schule unternommen haben, um sicherzustellen, dass Arvid an allen Aktivitäten teilnehmen kann. Dennoch war es nicht immer einfach. Es gab Momente, in denen Arvid aufgrund fehlender Ressourcen außen vor blieb, was schmerzhaft und ungerecht war. Derzeit läuft es in der Schule sehr gut, vor allem dank einiger wichtiger Personen, die sich darauf konzentrieren, Lösungen statt Einschränkungen zu finden. Menschen, die sehen, was möglich ist.
Anna reflektiert über das Gesamtbild, über den Umgang der Gesellschaft mit Inklusion.
„Es ist noch ein langer Weg“, sagt sie. „Es ist nicht immer so inklusiv, wie wir gerne glauben würden. Wir haben so viele aufschlussreiche Erfahrungen gemacht – Dinge, die man erst wirklich bemerkt, wenn man selbst damit konfrontiert ist.“
Sie sind auf Einstellungen wie „Nun, er sitzt im Rollstuhl, also kann er das natürlich nicht – das muss man verstehen“ gestoßen. Solche Kommentare zeigen, wie wichtig es ist, die Perspektive zu ändern. Anna hofft, dass mehr Menschen anfangen, anders zu denken, und dass die meisten Probleme gelöst werden können, solange man bereit ist, flexibel zu sein und kleine Anpassungen vorzunehmen. Es geht um den Willen zur Inklusion und darum, den Wert zu erkennen, den es hat, wenn alle teilhaben können.
Träume ohne Grenzen
Arvid ist erst neun Jahre alt und wie die meisten Kinder in seinem Alter hat er noch keine konkreten Zukunftspläne. Was er einmal werden wird, wenn er groß ist, weiß niemand – im Moment findet er es jedoch spannend, Schauspieler zu werden.
Für seine Mutter Anna ist nicht wichtig, welchen Weg er einschlägt, sondern dass er die Möglichkeit hat, selbst zu entscheiden. Am wichtigsten ist ihr, dass Arvid ein unabhängiges Leben führen kann – ein Leben, das er sich wirklich wünscht, mit den gleichen Chancen wie andere Kinder.
„Ich hoffe, dass die Menschen Arvid mit dem Verständnis begegnen, dass er die gleichen Träume, Gedanken und Gefühle hat wie alle anderen auch. Dass sie über seine Behinderung hinwegsehen, ihm gleiche Chancen geben und ihn einfach so behandeln, wie er ist: ein ganz normaler Junge mit außergewöhnlich viel Mut“, sagt sie.
Wir von Made for Movement möchten Arvid und Anna dafür danken, dass sie ihre Geschichte mit uns geteilt haben.
Sie inspirieren uns sehr und bestärken uns darin, unsere Arbeit bei der Entwicklung von Hilfsmitteln fortzusetzen, körperliche Aktivität für alle zu fördern und – was am wichtigsten ist – die Inklusion aller in die Gesellschaft sicherzustellen.
Wir wünschen Arvid alles Gute für die Zukunft.

Rikke Damkjær Moen bereichert das Made for Movement Team mit vielen Jahren Erfahrung als klinische Physiotherapeutin. Es ist ihre Mission, dafür zu sorgen, dass auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Möglichkeit erhalten, Freude und Gesundheit durch körperliche Aktivität zu erfahren. Als Medical Manager gibt Rikke Damkjær Moen ihr Wissen über die Lösungen von Made vor Movement gern weiter, damit Menschen mit besonderen Bedürfnissen, ihre Familien und Behandler die Möglichkeiten kennenlernen.
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